Orlando Engel und Wartesäle
Dass ein solches Ensemble sich der Thematik des menschlichen Anderssein-Dürfens annimmt, ist "normal". Dass es dabei aber immer wieder zu so hoher theatralischer Intensität und zu Bildern von derartiger ästhetischer Stringenz gelangt, das grenzt schon ans Wunderbare.
zitty, 2001
... Diese Stoffe und Tuche sind Identitätsangebote, Hüllen des Seins ... Dann aber wird auch der Fundus weggeschafft und die Figuren hüllen sich in weißes Kreppapier und verwandeln sich in laut raschelnde bizarre Skulpturen. Im letzten Bild in dieser Revue der Häutungen hängen Plastikfolien ... Das letzte Kleid für die geläuterten Figuren ist ein dünner kalter Stoff der Moderne - eine Abstraktion, eine durchsichtige Hülle, und bedeutet die Rückkehr zur Nacktheit als dem eigentlichen Identitätskleid dieses merkwürdigen Tieres Mensch.
Diese Inszenierung changiert zwischen Performance, Tanztheater und Installation. Die Akteure verlassen mit Virginia Woolfs Phantasie die Welt der festgelegten Geschlechterrollen, singen und erspielen sich die Zwischenräume, die Wartesäle der Engel, der Androgynen. Mit feinem Humor erschaffen sie aus Orlandos Zeitreisen das, was Tomasi di Lampedusa über den Roman seiner Zeitgenossin schrieb: „eine phantasievolle Erzählung voller Satire und farbiger Details“.
Virginia Woolf erzählt in ihrer fiktiven Biographie Orlando die „Geschichte eines Lebens“, die im 16. Jahrhundert beginnt und bis in das Jahr 1928 reicht. Der Titelheld selber allerdings wird nur um 20 Jahre älter und wechselt im Verlauf dieser Geschichte sein Geschlecht. „Seine Gestalt vereinte die Kräftigkeit eines Mannes mit der Anmut eines Weibes … ob also Orlando mehr Mann oder mehr Weib war, das lässt sich schwer sagen.“ (V. Woolf)
Die britische Schriftstellerin notierte 1927: „Eines Tages jedoch werde ich hier die Umrisse all meiner Freunde skizzieren wie ein großes historisches Gemälde … Vita [ihre Geliebte Victoria Sackville-West] sollte Orlando sein, ein junger Adliger … eine Biographie, die im Jahr 1500 beginnt & bis zum heutigen Tag führt“.
Die Regisseurin Martina Couturier und die Performerin Ruth Geiersberger haben in ihrer Arbeit diesem Roman Motive entliehen: Zum einen steht Orlando für die Idee, dass das Geschlecht eines Menschen kein eindeutiger oder endgültiger Zustand sein muss. Und: Im Falle Orlandos ist der Wechsel des Geschlechts mit der Option verbunden, nicht sterben zu müssen. Engel sind solche Zwitterwesen mit Kredit auf Unsterblichkeit, endlos Wartende. Die Inszenierung will keine Bühnenadaption des Romans von Virginia Woolf sein. Die Orlando-Figur liefert hier nur den gedanklichen Ausgangspunkt für eine Phantasie über Androgynie und geschlechtliche Metamorphosen.
Orlando hatte 2001 Premiere am Theater am Halleschen Ufer Berlin, ist eines der meistgespielten Stücke von Theater Thikwa, und hat folgende Tourneetermine im Juni 2009:
16. Juni Zürich (CH), Theaterhaus Gessnerallee, internationales Theaterfestival OKKUPATION!
21. Juni Basel (CH), Theater Basel, wildwuchs 09 – das Kulturfestival für solche und andere